von Diana Wetzestein
14. Mai 2019_Herborn. Bürgermeister Hans Benner arbeitet für fast 21.000 Einwohner in der Kernstadt und den Stadtteilen. Zudem ist er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte (ADF) und mit dem Thema „Migration und Integration“ in Fachwerkstädten auch Teilnehmer an der Fachwerk Triennale 19. Denn immer noch suchen in Herborn auch 200 Geflüchtete Wohnraum, Arbeit und eine Zukunft. Derzeit sind sie in 15 Einrichtungen untergebracht und bei vielen Dingen des Alltags auf praktische Hilfe von Einheimischen angewiesen.
„Begegnung und Aufbruch“ lautet der Triennale-Beitrag der Stadt und des Netzwerkes Flüchtlingshilfe Herborn (NFH), der im Rathaussaal 20 Teilnehmern vorgestellt wurde. „Ein Gesamtkonzept zur Verstetigung soll erarbeitet, die dort enthaltenen Integrationsstrategien im Projektverlauf von vielen Seiten betrachtet werden“, sagte Cornelia Glade-Wolter, Fachdienstleiterin Soziales der Stadt Herborn, die auch Handwerk und Industrie zur Mitwirkung gewinnen möchte.
Sabine Czilwa vom NFH gab einen Überblick über die Erfahrungen aus vier Jahren Flüchtlingsnetzwerkarbeit. „Sicherheit, die Sprache schnell lernen, arbeiten, studieren und die Familien nachholen, ein Auto fahren und ein Haus bauen, das sind Wünsche der Geflüchteten“, sagte sie. Erwartungen gäbe es auf beiden Seiten, schließlich wolle man Arbeitslücken schließen und den Fachkräftemangel beseitigten, so Czilwa. „Alle sollen schnell Deutsch lernen, selbstständig leben und unsere Werte übernehmen“, sagte sie und las einen eindrucksvollen Monolog einer Migrantin vor, die davon sprach, wie es in der Realität um die Integration bestellt ist. „Je länger die Integration dauert, desto schwieriger wird es, die Menschen noch zu motivieren“, so Czilwa.
Die Ehrenamtlichen übernehmen alle Arbeit, die das Amt nicht leisten kann. Intensive Betreuung rund um die Uhr kostet viel Kraft und Energie. Sie vermitteln zwischen Migranten, Verwaltung und JobCenter. Doch die Suche nach Wohnraum und Arbeit bleibt meist ohne Erfolg. Denn auch sie können nur darum bitten, an Migranten zu vermieten oder sie einzustellen.
Und auch den Mitarbeitern im JobCenter sind die Hände gebunden, wenn Sprachkenntnisse und Qualifikation fehlen, sei eine Vermittlung nur noch sehr schwer. „Es gibt keine besonderen Förderungsmöglichkeiten für Menschen mit Migrationshintergrund. Aber es gibt neue Programme, die Langzeitarbeitslose wieder ins Berufsleben bringen sollen, Förderung der Ausbildung und Wiedereingliederungsmaßnahmen sind vorhanden. Wir müssen aktiv auf die Arbeitgeber zugehen und gemeinsam weitermachen“, sagte Matthias Dietermann vom Kommunalen JobCenter Lahn-Dill.
„Diese Themen betreffen ganz Deutschland, die Fachwerkstädte sind aber aufgrund ihrer Baustrukturen, dem Verlust von Einzelhandel, Abwanderung von Fachkräften und einer hohen Zahl von denkmalgeschützter Bausubstanz besonders belastet“, meinte Dr. Uwe Ferber vom Projektbegleitbüro StadtLand GmbH aus Leipzig und gab einen kurzen Überblick über alle Triennale-Projekte. Er betonte, dass diese im November mit der Abschlussveranstaltung in Berlin präsentiert werden.
Hartmut Teichmann aus Hann. Münden berichtete selbst über die Arbeit der Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt eG und das Baucamp als Integrations-Projekt. In Hann. Münden leben derzeit Menschen aus 80 Nationen. Als die Migrationswelle 2015 auch Südniedersachsen erreichte, habe man eine Initiative gegründet, weil klar war, dass es die Behörden allein nicht schaffen würden. „Zu uns kamen 200 unbegleitete Jugendliche, die schnell Unterstützung brauchten“, so Teichmann. Man machte sich bekannt mit Syrern, Kurden, Afghanen und Eritreern, man kochte zusammen, gab ergänzenden Deutschunterricht und ging mit ihnen zu Behörden, Ärzten und in Schulen.
Als die ersten ihre Schulabschlüsse in der Tasche hatten, seien sie wieder orientierungslos gewesen. Also suchten die Helfer Praktikumsplätze und hatten die Idee, ein Sprachcamp mit praktischen Arbeiten zu verbinden. Idee und Euphorie folgte die Aufgabe, die Finanzierung sicher zu stellen. Zur vielen alltäglichen Mehrarbeit kam das noch oben auf. Aber, alles haben sie geschafft, das Baucamp erfolgreich durchgeführt und erreicht, dass die meisten der Jugendlichen weitere Qualifikationen anstreben und Orientierung gefunden haben.
Der Einsatz habe sich gelohnt, trotz der vielen Bürokratie habe es Jugendliche weitergebracht, die sonst vielleicht in der Hoffnungslosigkeit gestrandet wären. „Ich würde mir eine Person in der Stadtverwaltung wünschen, die Gelder für die Umsetzung von Projekten aufspürt, damit das die Ehrenamtlichen nicht auch noch tun müssen“, sagte Teichmann abschießend.
Ohne den Einsatz von Ehrenamtlichen wäre es auch in Herborn nicht möglich gewesen, seit 2015 über 800 Geflüchtete aufzunehmen und sich um sie zu kümmern. Das Netzwerk Flüchtlingshilfe übernahm mit anfangs 60 Ehrenamtlichen den größten Teil der Arbeit. Heute sind es noch 15 Personen, die täglich den Alltag der Migranten begleiten und ihre Erfahrungen in das Gesamtkonzept mit einfließen lassen wollen.
Doch Herborn hat Wohnraummangel. Sozialwohnungen gibt es kaum, Geflüchtete Familien unterzubringen, bleibt schwer. Eine Möglichkeit sieht Bürgermeister Benner in den Stadtteilen, wo noch Potential durch den Umbau von Scheunen zu Wohnhäusern möglich sei. „Ich würde mir wünschen, dass es unsere Fachwerkstädte in 500 Jahren immer noch gibt“, sagte er.
„Alle Städte leben von der Veränderung. Wir stellen immer wieder fest, wie viele neue Aspekte es gibt und es immer auch besser gehen kann. Herborn ist ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen aus anderen Kulturen willkommen geheißen werden“, sagte Maren Sommer-Frohms, Geschäftsführerin der ADF und bedankte sich für die interessante Veranstaltung.